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Auf dem Kasseler Hauptfriedhof steht jetzt ein Windtelefon


Die Verbindung zu den Toten wird gehalten.
Auf dem Kasseler Hauptfriedhof steht jetzt ein Windtelefon


In der Trost-Ausstellung des Museums für Sepulkralkultur wurde es vorgestellt: Das aus einer Telefonzelle bestehende Windtelefon des japanischen Künstlers Itaru Sasaki, das er 2010 in seinen Garten stellte, um über den Wind mit seinem verstorbenen Cousin zu sprechen. Auch auf dem Kasseler Hauptfriedhof steht jetzt ein Windtelefon. Wer einen geliebten Menschen verloren hat, kann dort die Verbindung zu ihm suchen.

 

Das Windtelefon ist eine Kooperation der Kulturzentrum Schlachthof gGmbH gemeinsam mit dem Museum für Sepulkralkultur und der Friedhofsverwaltung Kassel. Eckehart Göritz, Chef der Kasseler Friedhofsverwaltung: „Man ist sprachlos, atemlos, ohnmächtig, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Man durchlebt verschiedene Phasen der Trauer.

Wer steht einem zur Seite, wenn jemand gegangen ist, mit dem man innig verbunden war?“ Neben der Kommunikation mit Angehörigen kann es helfen, sich im Geiste auch mit dem Verstorbenen zu verbinden. „Das Windtelefon ist hierfür ein Hilfskonstrukt“, so Göritz. Man könne jederzeit mit seinen Angehörigen Kontakt aufnehmen und durch die Interaktion mit dem Geist des Verstorbenen Trost erfahren. „Wir haben weder einen Aussichtsturm noch einen See auf dem Kasseler Hauptfriedhof – aber ein Windtelefon. Und darüber bin ich begeistert.“ Schließlich verdeutliche die Idee hinter dem Windtelefon einmal mehr, wie wichtig die Verortung von Trauer sei.

Menschen zu helfen, auch in Krisensituationen und ihnen Hilfestellung zu geben, ist der interkulturelle Ansatz des Kulturzentrums Schlachthof. „Wer aus dem Krieg nach Kassel kommt, findet eine andere Kultur vor und oftmals fehlt es ihm an Halt“, sagt Schlachthof-Geschäftsführer Mirko Zapp. Um auf Gefühle wie Wut, Trauer, aber auch auf Gefühle der Ohnmacht zu reagieren, verfolge das Kulturzentrum einen partizipativen Ansatz. Mit dem Windtelefon habe man sich nun einer neuen Herausforderung gewidmet: Tod und Trauer – Themen, um die es im Museum für Sepulkralkultur geht. „Mit unseren Ausstellungen geben wir auch Anregungen, wie mit Verlusterfahrungen umgegangen werden kann. So hatte auch Sasakis Windtelefon in unserer letzten Sonderausstellung „Trost – Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“ einen Platz gefunden“, sagt Gerold Eppler, stellv. Direktor des Museums für Sepulkralkultur und Museumspädagoge. „Darauf ist unsere Arbeit gerichtet: Wir wollen den Menschen etwas anbieten.“ Anders als Ausstellungen, die wieder verschwinden, habe das Windtelefon Bestand. Dauerhaft auf den Hauptfriedhof installiert, gebe es auch einen Anstoß, darüber nachzudenken, was der Friedhof bedeute.

Dort, im Museum für Sepulkralkultur, sind Daniel Krooß und Gerrit Retterath vom Nachbarschaftsprojekt „Hier im Quartier“ über die Idee des Windtelefons gestolpert. „Wir sind überzeugt, dass diese Telefonzelle eine sehr gute Herangehensweise ist, sich dem komplexen Thema zu widmen“, sagt Krooß. Ihr zentrales Anliegen sei, Kunst mit nachbarschaftlicher Begegnung zu verbinden. „Das Windtelefon ist niedrigschwellig: Man kann einfach reingehen und für sich sein. Bei den angeschlossenen Kunstworkshops kann man dann auch nochmal mit anderen in Kontakt kommen“, so Retterath.

Los geht das Begleitprogramm mit drei Workshops, in denen Steine bemalt werden. Geleitet werden sie von der Künstlerin Aliaa Aboukhaddour. „Verluste werden erträglicher, wenn man sich ausdrücken kann. Etwa mit Kunst. Mit Kunst kann man alles sagen“, sagt Aboukhaddour. Und es werde manches sichtbar, was in einem stecke.

 



Sichtbarkeit sei etwas, das auch dem Tod als Thema gut tut: Dem Trend, den Tod zu verstecken, und statt einen Toten aufzubahren, alles von einem Bestatter „schnell erledigen“ zu lassen, wie Eckehart Göritz es nennt, würde das Windtelefon etwas entgegensetzen. „Seelische Prozesse halten an.“  Das Windtelefon bietet die Möglichkeit, auch weit über den Tod hinaus mit seinen geliebten Menschen in Kontakt zu bleiben.
Rund um die weinrote Telefonzelle, die unweit des Friedhofeingangs steht, wird es ganzjährig ein Rahmenprogramm geben. Darin kann die Nachbarschaft das Windtelefon mitgestalten und ihre Anliegen und Sichtweisen zu Tod, Trauer und Verlust einbringen und ausdrücken. Das Windtelefon ermöglicht dabei unterschiedliche methodische Zugänge. Nach dem Gestalten von Gedenksteinen mit Aliaa Aboukhaddour steht etwa ein Schreibworkshop mit der Poetin Leticia Wahl an. Die Workshops mit Aboukhaddour finden jeden letzten Samstag im Monat ab 12 Uhr statt.

www.hier-im-quartier.de
Das ist das Projekt „Hier im Quartier“
Seit 2018 schafft das soziokulturelle Projekt „Hier im Quartier“ im Kasseler Norden partizipative Kunstprojekte, die Möglichkeiten zum kreativen Selbstausdruck bieten. Mit kostenfreien Angeboten möchte das Projekt Menschen zusammenbringen und Kunst als Werkzeug zur gemeinschaftlichen Gestaltung des eigenen, nachbarschaftlichen Umfeldes nutzen. „Hier im Quartier“ wird im Anschluss an eine vierjährige Bundesförderung seit 2023 durch das Kulturamt der Stadt Kassel gefördert.

 

 

Beitrag mit freundlicher Genehmigung des Sepulkralmuseums, Kassel

 

 

 

Vor dem Windtelefon: Die Kasseler Künstlerin Aliaa Aboukhaddour (vorn) bietet als Begleitprogramm zum Windtelefon drei Workshops an, in denen Steine bemalt werden. Für ihren Stein hat sie sich inspirieren lassen von den Texten des syrischen Dichters Nizar Qabbani, der Trauer mit dem Wachsen von Bäumen in Verbindung gebracht hat. Im Hintergrund stehen (von links) Gerold Eppler, Eckhart Göritz, Mirko Zapp, Gerrit Retterath und Daniel Krooß. Foto: Anna Lischper